
Die Via Claudia Augusta
(Mai 2014)
Bisher waren wir gemeinsam immer in Deutschland auf Fahrradtour gewesen. An sich ist dieses nichts Verwerfliches. Angespornt und inspiriert von vielen Reiseberichten über fremde Länder wollte ich allerdings aus diesem Rahmen ausbrechen und dieses Mal ein kleines Abenteuer anderer Art erleben. Nach etwas Recherche stieß ich dabei auf die „Via Claudia Augusta“. Sie war in der Antike eine der wichtigsten Römerstraßen und wurde nach ihrem Erbauer, Kaiser Augustus (63 v. Chr.- 14 n. Chr.) benannt.
Der Großneffe und Haupterbe von Gaius Julias Caesar ließ im Jahre 15 v. Chr. die noch nicht eroberten Gebiete der Alpen und das nördliche Voralpengebiet zwischen Inn und dem Südschwarzwald, im Rahmender Augusteischen Alpenfeldzüge, erobern. In diesem Zuge entstand zu dieser Zeit die „Via Claudia Augusta“, erst als militärische und später auch als wirtschaftliche Alpenquerung. Auf den Spuren der damaligen Feldherren lernt man auch heute noch beeindruckende Orte kennen und findet eine Vielzahl an historischen Relikten.
Ja, sie versprach genau das, was ich suchte: Geschichte, eine Alpenüberquerung, andere Länder, Kulturen und Sprachen. Auch die körperliche Anstrengung war eine deutliche Herausforderung für mich, als Flachländler, welcher nur 2-3-mal die Woche neben der Familie und Arbeit im Fitnessstudio versuchte einen lockeren körperlichen Ausgleich zu finden.
Unberührte Naturlandschaften, idyllische Plätze an Flüssen, in Wäldern oder in romantischen Städten, sollten uns entlang der Tour begleiten. Imposante sowie pittoresken Alpenpanoramen an deren Berghängen Gämse grasen und Adler sich auf ihren breiten Schwingen hoch empor tragen ließen, sollten uns reichhaltig belohnen.
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Als Hauptreise-Richtung für Reiseradfahrer gilt die Nord-Süd-Passage. Beginnend in Donauwörth, dann in Richtung Venedig bzw. Ostiglia am Po fahrend, je nachdem für welche der beiden Routenführungen man sich entscheidet. In Trento gabeln sich dann im weiteren Verlauf beide Routen.
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Am Ziel angekommen, wollten wir uns keine Gedanken über die Rückreise mit den Fahrrädern, machen.
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Zeitlich waren 1-2 Tage Puffer für die Anstrengungen bei der Alpenüberquerung berücksichtigt. So planten wir die Tour in die entgegengesetzte Richtung. Wir wollten in Venedig starten und nach Donauwörth fahren. Dort angekommen, sollte es ein Leichtes sein, mit der Bahn, zurück nach Hause zu kommen.
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Geplant, gebucht. Wir sollten von Hamburg aus über Bonn nach Venedig fliegen. Es sollte Antjes erster Flug im Leben werden. Bei wolkenlosem Himmel hatte sie, eine einzigartige Aussicht auf die schneeverdeckten Alpen. Ich freute mich schon tierisch darauf, Ihre Reaktion darüber zu erleben. Zu diesem Zweck hatte ich Ihr einen Fensterplatz gebucht. In Bonn ging nach einem Schockmoment dann doch alles gut. Die ursprüngliche Maschine auf die wir gebucht hatten, war aus technischen Gründen ausgefallen. Man teilte uns am Counter in der Abflughalle mit, wo wir bereits seit knapp 3 Stunden warteten, dass man die Piloten der Ersatzmaschine fragen müsse, ob Sie unsere beiden Fahrräder überhaupt mitnehmen könnten. Ein Blick zur Parkposition des Fliegers verriet mir dann auch unmittelbar den Grund dieser Frage. Bei der Ersatzmaschine waren die Ladeluken maximal so hoch wie die Fahrradkartons an der kurzen Seite.
Es ging also alles nur liegend. Zudem war der eilig aufgetriebene Flieger sehr kompakt gebaut. Der Gepäckraum war extrem klein. Bangend beobachtete ich den rollenden Gepäcktransport. Die Kartons kamen tatsächlich an Bord, aber mir schwante bereits Böses, denn sie wurden mehr geworfen als getragen und einer war bereits zu einem Drittel aufgerissen. Kartonagen Reste verteilten sich auf dem Boden.
Nachts in Venedig gelandet offenbarte sich das Malheur. Nach längerem Suchen, konnten wir ausfindig machen, wo unsere Fährräder abgeholt werden konnten. Angekommen, lagen sie hingeworfen, aus den Kartons ragend auf dem Boden. An meinem Lenkervorbau hatte ich Glück gehabt, dass noch alles dran war. Zwei von 4 Vorbauschrauben waren am Kopf im 45 Grad Winkel durch zerren und reißen abgeschliffen worden. Es schien für die Tour aber noch zu halten.
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Was für ein Einstand in Venedig…Gott sei Dank sollte sich das Blatt im weiteren Verlauf wenden.
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Nach einem ausgiebigen Frühstück am Buffet des Hotels, in dem wir genächtigt hatten, ging es dann mit vollen Bäuchen auf dem Fahrrad in Richtung Lagune. Wir wollten auf die Insel und dort, bevor wir uns auf dem Weg in die Berge machten, noch einen Blick auf die Kanäle, sowie das Touristenspektakel werfen. Das Flair einatmen und uns davon durch „Bela Italia“ heimwärts tragen lassen.
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Welch eine Fahrt vom Festland zur Insel! Ich sage nur - wir haben es überlebt.
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Die Rad- bzw. Fahrradspur war gesperrt, so dass wir mit den Bussen, LKWs und dem Getümmel an PKWs uns die Straße mit ihren engen Spuren teilen mussten. Und dass bei rollendem Verkehr und Tempo 70. Ich konnte gar nicht hinschauen. Antje fuhr vor mir und die LKWs und Reisebusse bretterten häufig mit nicht einmal 1 Meter Abstand an ihr vorbei.
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Ich wollte ein Abenteuer der etwas anderen Art. Ich hatte es bekommen.
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Nach knapp etwa 100km waren wir an den Füßen der Alpen angekommen. Respekteinflößend türmten sich die Gipfel bei Sonnenuntergang vor uns auf und ließen erahnen was uns die kommenden Tage bevorstehen würde. Es war herrliches Bild. Wir atmeten auf, lachten und freuten uns erschöpft über das bisher Geschehene. Es war etwas ganz Besonderes für uns.
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Besonders sollte auch die Alpenquerung werden. Der erste Pass (Praderadego 910 ü.d.M.) lehrte uns zugleich das Fürchten. Größtenteils hatten wir zwischen 13 bis teilweise 18 Prozent Steigung mit vollbeladenen Fahrrädern zu überwinden. An ein „Fahren“ geschweige denn „Treten“ war gar nicht zu denken. Mühevoll schoben wir über 5 Stunden den Berg hoch! Kehre um Kehre wandte sich die alte aufgerissene Straße vor uns den Berg hoch. Lediglich ein Auto und ein Trecker überholten uns während der gesamten Zeit. Umso glücklicher waren wir als wir oben ankamen und uns auf die kommende Abfahrt freuen konnten. Die Einladung des Autofahrers, welcher uns zuvor überholt hatte, schlugen wir aus. Am Lagerfeuer stehend und mit einer Flasche wild gestikulierend, winkte er uns zu. Er stand an einer Ferienhütte, die im zu gehören schien. Ich konnte mir, abgeschlagen wie ich war, in keiner Weise vorstellen irgendeine Art Alkohol, und sei es nur zum Anstoßen, zu mir zu nehmen. Ich wäre umgekippt.
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Weitere Pässe folgten. Der passo croce d´Aune (1041 ü.d.M.), sowie der passo Resia (Reschenpass, 1455 ü.d.M.) Eine Aussicht war schöner als die andere. Meine Blicke wanderten umher und ich saugte nach den kräftezerrenden Aufstiegen in der Hochebene, zwischen Bozen und Meran, mit ihren weiten Obstplantagen, die Impressionen wie ein Schwamm auf. Die Berghänge am Rande der Ebene bildeten einen warmen, behüteten Schoß und vermittelten mir eine raue Geborgenheit nach den Aufstiegen. Dieser Etappenabschnitt ließ mich wieder Kräfte tanken. Wir rollten weich dahin und ließen uns treiben.
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Leider hatte das Wetter seit einigen Tagen umgeschlagen und so kam es, dass wir bis zum Schluss mit Regenschauern und merklich gesunkenen Temperaturen zu kämpfen hatten. Zeitweise schien es unwirklich bei dieser Geräuschkulisse zu radeln. Die Regenhaube, so eng wie möglich, um das Gesicht geschlossen, den Regen auf uns niederprasselnd und neben uns die wilden rauschenden Flüsse zu hören. Hier kam es uns entgegen, dass unsere Tagesetappen kürzer ausfielen, als ursprünglich geplant und wir nur selten, mangels Möglichkeiten, unser Zelt aufschlugen. In warmen Unterkünften konnten wir „Durchtrocknen“ und uns wärmen, sowie uns der örtlichen lukullischen Köstlichkeiten erfreuen. Ich rieche heute noch den aromatischen Espresso Duft beim Frühstück und schwelge in Gedanken.
Wir mussten wie zwei völlig arme, durchnässte Hunde ausgesehen haben, als uns die Wirtin des Garni Hotels am Reschenpass, bei Ankunft, herzlichst empfing, sogleich unsere Räder samt Gepäck in einer Garage wegschloss und jedem „auf`s Haus“ je zwei Williams-Christ-Birnen-Liköre, zum Aufwärmen, hintereinander in die Hand drückte. Welche Herzlichkeit. Wir fühlten uns gleich sehr willkommen. Ein Gefühl, was uns die gesamte Tour über begleitete. Auch als wir freundlich einen alten Italiener fragten, wo wir unser Zelt aufschlagen könnten, wurden wir gleich in seinen Garten geführt und eilig mit kleinen Snacks versorgt. Es war mir fast schon peinlich. Wir wollten uns gar nicht aufdrängen, sondern nur nach Hinweisen bzw. Tipps bitten. Er entschuldigte sich sogar, soweit es uns die Verständigung mit Händen und Füßen erlaubte, dass er gleich zum Kartenspielen mit seinen Freunden verabredet sei und leider gehen müsse.
Die Dolomiten, das Vingschau, das Ötztal, das…ach, wir könnten Stunden erzählen, was blieb, war eine unvergessliche Erfahrung, viele Eindrücke, etliche Begegnungen, wie die 2 unabhängig voneinander ausgesprochenen Einladungen „Wollt Ihr nicht bei uns Duschen und euch aufwärmen? “-Einladungen beim Bäcker in Füssen, ein zusammengeschweißtes „wir“, sowie die Vorfreude auf das „Mehr“.
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